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Sozialer Abstieg durch Hochschulabschluss?

Ein soziologischer Erfahrungsbericht (von Uwe Lammers)

Hartz IV und das Zusammenspiel verschiedener Realitäten produzieren erst soziale Abstiege. Selbst die Bundesagentur für Arbeit bemängelt, dass immer mehr Menschen in Hartz IV abrutschen, ohne jemals Ansprüche auf adäquate Sozialleistungen gehabt zu haben.

Arbeitslos und überschuldet, das waren dem Klischee nach immer die schlecht Qualifizierten, der gesellschaftliche Bodensatz, tautologisch: das Prekariat. Prekarität meint aber neben materieller Not auch die Beschneidung von sozialen und politischen Rechten, die mittlerweile durch Hartz IV auch in der Mitte angekommen ist. Überschuldung ist kein Phänomen der Unterschicht mehr, die mit ihrem Geld nicht umgehen kann, sondern eine Auswirkung von Hartz IV (Staiger 2009).

Aber der Reihe nach: Im Prüfungssemester ist Examens-Studenten Erwerbsarbeit nicht mehr zumutbar, da die volle Kraft der Abschlussarbeit gilt (Jäger/Thomé 2009: 286). Deshalb sieht der Gesetzgeber in § 7 Abs. 5 S. 2 SGB II vor, dass in besonderen Härtefällen die Leistungen als Darlehen gezahlt werden können. Entsprechende Entscheidungen gibt es seit 2005 (ebd.). Auch in meinem Fall wurde so entschieden (Team Arbeit Hamburg; Az. X542Y-123A463669).

So weit, so gut. Aber Falle Nr. 1: Der Antrag meiner Lebensgefährtin aufgrund der selben Merkmale wurde abgelehnt; die juristische Klärung läuft derzeit. Da ich aber nun durch Beendigung des Studiums regulär ALG II beziehe, werden unsere Leistungen als Paar angerechnet; d.h. ich bekomme nur anteilige Kosten für Miete gezahlt, meine (bisher jobbende) Partnerin gar nichts.

Falle Nr. 2: Meine Bank offenbart mir, dass mein Dispo zu hoch und meine Einkünfte zu niedrig sind, ich also umschulden soll. Auf meine Anmerkung, ich stünde (seinerzeit) in der Examensphase, könne dies derzeit nicht und werde in Hartz IV kommen, wird entgegnet, dass dann umgehend die Rückzahlung eingefordert wird und das Konto gekündigt wird. Dazu ist zu wissen, dass es in Deutschland keinen Rechtsanspruch auf ein Konto gibt und darüber bereits seit langem ein kontroverser politischer Streit gärt. Gegen diese Praxis gibt es aufgrund der juristischen Vertragsfreiheit keinerlei Rechtsmittel.

Und: Falle Nr. 3: Der Zugang zu Rechtsmitteln wird seit 2008 aufgrund der ansteigenden und ebenso häufig erfolgreichen Klagen für Bezieher von Sozialleistungen sukzessive eingeschränkt. Gerichtsgebühren beim Sozialgericht, die Begrenzung von Prozesskostenhilfe (PKH) und Gebühren bereits bei der Antragstellung auf PKH sind einige der durch den Bundesrat geplanten Änderungen, die jedoch einer breiten Öffentlichkeit verborgen bleiben.

Literatur:
Jäger, Frank/Thomé, Harald (2009): Leitfaden ALG II. Frankfurt/M. 
Staiger, Martin (2009): Schuldenfalle Hartz IV. In: WSI Mitt. 6/2009. S. 334 – 336